Mathilde Weber – frauenbewegte Sozialreformerin im 19. Jahrhundert
Eine aufrechte, stattliche Frauengestalt mit fast männlichen Zügen und wunderschönen blauen Augen“ – so erinnerte sich eine alte Tübingerin an Mathilde Weber. 1829 als Mathilde Walz geboren, lebte Mathilde Weber von 1854 bis zu ihrem Tod im Jahr 1901 in Tübingen, die längste Zeit in der Neckarhalde 52. Und der frauenbewegten Sozialreformerin verdanken wir weit mehr als nur den Straßennamen „Weberstraße“.
Mathilde Weber hatte – wie im 19. Jahrhundert für junge Frauen üblich – keine Berufsausbildung, aber eine ungewöhnlich freie und umfassende Erziehung erhalten. Sie war nicht nur stark in der ersten deutschen Frauenbewegung engagiert und hat viele Frauen unterstützt und gefördert – sicher gab und gibt es in Tübingen auch keine andere Frau, die so viele Vereine gegründet und soziale und Bildungs-Einrichtungen auf den Weg gebracht hat.
Zwar sah Mathilde Weber die Tätigkeit der Hausfrau/Mutter nach wie vor als Idealberuf für Frauen an, kämpfte aber dafür, dass für Frauen, die erwerbstätig sein mussten oder wollten, Beruf und Berufsausbildung ermöglicht und aufgewertet würden: „Welch ein Segen ist eine Erwerbsarbeit, die unabhängig macht von fremdem Mitleid und fremder Gnade!“ (1895). Im Alter sorgte sie sich vor allem um alleinstehende Bürgertöchter ohne Berufsausbildung, gründete den „Verein für Tübinger Honoratiorentöchter“ mit Stellenvermittlung für junge Frauen und ‚erfand‘ für sie den Beruf der „Hausbeamtin“. Obwohl Mathilde Weber mit ihrem Engagement oft viel Spott und Unmut in Tübingen erregte, wurde sie noch zu Lebzeiten von der Stadt geehrt: Bereits 1887 benennt der Tübinger Gemeinderat die heutige Weberstraße nach Mathilde und ihrem Mann Heinrich (Professor für Land- und Forstwirtschaft in Tübingen), 1899 verleiht ihr der Gemeinderat für ihr soziales Engagement den Titel „Wohltäterin der Stadt“. 1901 stirbt Mathilde Weber, ihr Grab auf dem Stadtfriedhof besteht heute nicht mehr.
1992 werden die haus- und landwirtschaftlichen Schulen in Tübingen in „Mathilde-Weber-Schule“ umbenannt, 2001 feiern die dortigen SchülerInnen Mathildes 100. Todestag mit einer grandiosen Performance – und vielleicht erinnert auch das Frauenprojektehaus bald an Mathilde?!
- Aktivitäten in den Jahren 1870 – 1895
- Gründung einer Kinderkrippe für Kinder „unbemittelter arbeitssamer Eltern“
- Aufbau eines Sanitätsvereins, der Frauen und Mädchen eine Ausbildung in Krankenpflege ermöglichte
- Initiatorin des Gründungsaufrufs für eine Frauenarbeitsschule, später aktiv bei der Planung der Ausstattung dieser Schule
- Gründung des „Sonntagsvereins für konfirmierte Mädchen“
- Initiierung von Fortbildungskursen für Dienstbotinnen
- Errichtung des Tübinger Hilfsvereins (Wohltätigkeitsverein bürgerlicher Frauen)
- „Mittwochsverein“ als Art Frauenvolkshochschule mit politischen Themen
- Streitschrift „Ärztinnen für Frauenkrankheiten – Eine ethische und sanitäre Notwendigkeit“ (1888), mit der sie die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium fordert
- Veröffentlichungen und Vorträge zu frauen- und sozialpolitischen Themen
- bis 1900 im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF)
- mit dem Erlös aus Sammlungen, Konzerten, „Gerümpelaktionen“ und ihren Vorträgen Finanzierung von sozialem Wohnungsbau in Tübingen: Mathildenstift, Jägerstift und das Weberstift in der Weberstraße Nr. 7 bieten preiswerten Wohnraum für Frauen und Familien aus der Unterschicht
- der ersten Tübinger Studentin, Maria von Linden, vermittelt sie ein Stipendium des ADF.
Bea Dörr, BAF e.V.
Leseempfehlung: Helga Merkel; Zwischen Ärgernis und Anerkennung – Mathilde Weber 1829 – 1901. Tübingen 1993